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Landgericht Karlsruhe verhandelt über die Sperrung des Twitter-Accounts eines politischen Blogs (LG Karlsruhe, 13 O 50/22 KfH, 13 O 62/22 KfH)
Datum: 06.09.2023
Kurzbeschreibung:
Achgut wurde 2004 von den Publizisten Henryk M. Broder und Dirk Maxeiner gegründet und betreibt unter dem Namen „Die Achse des Guten“ nach eigener Darstellung einen der reichweitenstärksten politischen Autoren-Blogs in der Bundesrepublik. Ab Sommer 2022 versandten einige Nutzer des Twitter-Dienstes eine große Zahl von Boykottaufrufen an solche Unternehmen, die auf der „Achse des Guten“ Werbung schalteten (Beispiel: „Auweia @AudiOfficial! Seid ihr sicher, dass ihr auf Achgut (schlimm genug!) im Umfeld des Lügners, Impfgegners und Coronaverharmlosers #Homburg mit eurer Werbung gut vertreten seid??“). Mehrere Unternehmen stellten daraufhin ihre dortige Werbung ein oder prüften entsprechende Schritte. Achgut wehrte sich mit insgesamt 125 inhaltlich meist sehr ähnlichen Tweets (Beispiel: „Es handelt sich um eine von einem erklärten Antisemiten betriebene Kampagne, zu der der Titel ,Werbt nicht bei Juden!’ passen würde. Wir bitten Sie sorgfältig zu prüfen, oh Sie sich hier zum Handlanger antisemitischer Aktivisten machen wollen oder nicht.“). Twitter warf Achgut daraufhin Verstöße gegen die Twitter-Regeln, insbesondere die „Richtlinie zu Plattformmanipulationen und Spam” vor. Danach ist es u.a. verboten, wiederholt identische oder fast identische Tweets zu posten. Letztlich sperrte Twitter den Account von Achgut.
Auf den hiergegen gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entschied das erkennende Gericht am 11.10.2022, dass Twitter den Account von Achgut nicht mit der gegebenen Begründung sperren darf und das Profil @Achgut_com mit sämtlichen Inhalten wie Tweets, Retweets, Likes, Kommentaren zu Tweets und Retweets so wiederherstellen muss, wie dies am 29.09.2022 zum Zeitpunkt der Löschung bestand. Auf den Widerspruch von Twitter gegen diese Beschlussverfügung im Eilverfahren ist nunmehr mündlich zu verhandeln. Zudem hat Achgut mittlerweile Klage in der Hauptsache (mit demselben Gegenstand) erhoben, über die ebenfalls zu verhandeln ist.
Gegenstand des im Wettbewerbsrecht angesiedelten Rechtsstreits ist die Frage, ob Twitter unter den hier gegebenen Umständen (insbesondere unter Berücksichtigung der jeweils vorangegangenen, sich ebenfalls ähnelnden Boykottaufrufe anderer Nutzer) berechtigt war, den Account von Achgut mit der Begründung zu sperren, Achgut verstoße gegen die genannte „Richtlinie zu Plattformmanipulationen und Spam”. Es stellen sich vorab Fragen zur Zulässigkeit der Anträge von Achgut, insbesondere zur internationalen und örtlichen Zuständigkeit des Gerichts, und zum Verhältnis des Wettbewerbsrechts zu den vertraglichen Grundlagen im Verhältnis der Parteien des Rechtsstreits inklusive der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Twitter; ferner zum Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Parteien, das Voraussetzung für eine Anwendung der Vorschriften des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) ist, sowie zu weiteren Rechtsfragen.